Kommentar von Dr.-Ing. Ralf Feierabend, ConMoto-Gründer und Geschäftsführer

Der russische Angriff auf die Ukraine und die davon ausgelösten Sanktionen der EU, der USA und anderer Länder haben zu einem sprunghaften Anstieg der Energiepreise geführt, der sich noch weiter fortsetzen wird. Das setzt Deutschland ganz besonders unter Druck, denn ganz wesentlich für den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes sind die Kosten für Energie. Ein Land, das Energie nur zu hohen Kosten bezieht, verliert Schritt für Schritt an Wettbewerbsfähigkeit. Vergleicht man die Strompreise je Kilowattstunde in US-Dollar, so ergab sich bereits 2021 für die Länder Deutschland, USA und China folgende Relation:

4 zu 1,7 zu 1

Die Strompreise in Deutschland waren bereits vor dem Krieg in der Ukraine viermal so hoch wie in China und fast doppelt so hoch wie in den USA. Diese Schere geht aktuell noch deutlich weiter auseinander. Die Vorteile von China werden gerade deswegen größer, weil das Land jetzt mehr russisches Gas kauft als zuvor.
In der gegenwärtigen Situation steht die Politik vor schweren Entscheidungen. Viele der Schlüsselindustrien in Deutschland sind energieintensiv, zum Beispiel die Kupferindustrie und die Stahlindustrie mit der Fertigung von Halbzeugen aus Walz-, Press- und Ziehprodukten oder die Chemische Industrie. Der sich aus den im internationalen Vergleich hohen Energiepreisen ergebende Kostennachteil ist kaum noch zu kompensieren. Wollen wir uns international aus diesem Wettbewerb verabschieden? Wohl kaum!
Deutschland hat den Ausstieg aus der Kernenergie und aus der Kohle beschlossen. Eine Grundlage dafür, dass wir uns das leisten können, war das billige Gas aus Russland. Wie wollen wir dessen Wegfall auf Dauer kompensieren? Deutschland ist wesentlich stärker auf eine Beendigung dieses Konflikts mitten in Europa angewiesen als die USA oder China.

Schon jetzt politische Nachkriegsperspektiven entwickeln

Es ist die Aufgabe der europäischen Politik dafür zu sorgen, dass nach der Beendigung des unmoralischen russischen Angriffskriegs wieder eine schrittweise Normalisierung im Verhältnis zu Russland eintritt. Das ist auch im Interesse der Ukraine. Gerade im Sinne der Menschen russischer Herkunft in der Ukraine braucht es mittelfristige politische Perspektiven für eine Verständigung. Dabei hat die EU eine wichtige Rolle.
In Deutschland muss die Politik jetzt Entscheidungen treffen, um die zu erwartenden wirtschaftlichen Probleme abzumildern – sowohl die der privaten Haushalte als auch die der Wirtschaft. Die die angekündigten Hilfen für Energiekunden, unter anderem durch den niedrigeren Mehrwertsteuersatz auf Erdgas, und die beschleunigten Verfahren zur Einrichtung der LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Stade und Lubmin sind dafür nur erste Schritte. Weitere politische Entscheidungen müssen gezielt Einkommensschwache dabei unterstützen, steigende Kosten im Alltag tragen zu können. Und die Politik muss dazu beitragen, dass Produktionsprozesse in der Industrie möglichst reibungslos weiterlaufen. Konkrete Hilfe und Alternativen zu russischem Erdgas sind wichtiger als moralische Empörung über Putin und seine Unterstützer. Moralische Kriterien sind besonders nach dem Krieg nicht die allein entscheidenden Gesichtspunkte von Politik. Ich halte es für wichtig, dass wir mit Russland – und wenn es sein muss auch mit einer russischen Regierung unter Putin – wieder zusammenarbeiten können und werden. Wir können die Innenpolitik in Russland, aber auch in anderen Ländern, nicht verändern.